Freiheit mit Risiken
Im aktuellen t3n-Magazin (1. Quartal 2018) schrieb Miriam Binner einen interessanten Artikel über einen neuen Trend in Deutschland. Unternehmen beginnen immer mehr damit, Beschäftigten die Entscheidung darüber zu geben, wann und wie lange sie arbeiten oder Urlaub nehmen. Was nach unternehmerischen Selbstmord klingt, ist im Endeffekt ein großer Vorteil, denn eine höhere Motivation der Belegschaft steigert langfristig auch den Unternehmenserfolg.
Mitarbeiter sollen an Flautetagen im Büro nicht sinnlos Papierschiffe falten, sondern einfach daheim bleiben. Zusätzlich müssen sich die „Urlaubsoptimierer“ nicht mehr darum kümmern, die Urlaubstage so rund um die gesetzlichen Feiertage zu legen, dass sich der gemeinsame Familienurlaub im Sommer noch ausgeht. Wenn ein Mitarbeiter Urlaub benötigt, kann er ihn einfach nehmen und muss nicht überlegen, wie viele Urlaubstage noch übrigbleiben.
Solche neuen Phänomene wie Jobsharing oder der unbegrenzte Urlaub werden in Führungsetagen heftig diskutiert. Das ist nicht nur Wohlwollen der Unternehmen: im Kampf um Talente muss man sich diesbezüglich einfach weiter öffnen. Viele Wunschkandidaten fordern solche Freiheiten ein.
Ein weiterer Treiber ist natürlich auch die Digitalisierung. Mitarbeiter müssen nicht mehr alle zur selben Zeit im Büro sein, sie können jederzeit von überall aus arbeiten. Der Arbeitsalltag ist nicht mehr linear, er passt sich an die Bedürfnisse an. Zuerst zwei Stunden E-Mails beantworten, dann die Kinder in den Kindergarten bringen, anschließend an einem Projekt arbeiten, die Kinder vom Kindergarten wieder abholen, gemeinsames Mittagessen, sich mit den Kindern beschäftigen, danach noch zwei Stunden fokussiert arbeiten. Ein solcher Arbeitstag ist keine Seltenheit mehr und wird sich in Zukunft bestimmt häufen.
Das neue System birgt jedoch auch Gefahren. Es drohen Mehrbelastungen, wenn es keine Vertretungen gibt, da bestimmte Mitarbeiter glauben, immer verfügbar sein zu müssen. Besonders engagierte Mitarbeiter haben zudem oft ein schlechtes Gewissen, wenn sie sich Auszeiten nehmen. Sie verspüren den Druck, sich für freie Zeit rechtfertigen zu müssen. Das kann zu einer Abwärtsspirale führen und sich negativ auf das Teamgefüge auswirken. „Wenn alle Mitarbeiter selbst für ihre Urlaubstage verantwortlich sind, können zwei Dinge passieren: Entweder sie vergessen sie komplett. Oder sie sind sich unsicher, wie viele freie Tage wirklich in Ordnung sind“, so Mathias Meyer von Travis CI. Dieses Unternehmen hat daher nach dem Test der freien Einteilung des Urlaubs eine fixe Untergrenze für Urlaubstage eingeführt. Mitarbeiter müssen also ein Mindestmaß an Auszeiten nehmen. Nach oben hin gibt es weiterhin kein Limit. Mathias Meyer fällt es nach wie vor, wie vielen Kollegen, schwer, proaktiv diese Auszeiten zu nehmen. Er habe immer „das Gefühl, dass es viel zu tun gibt und einziger Wissensträger für bestimmte Themen zu sein“. Ein bisschen Vertrauen, dass die Kollegen das schon schaffen, gehört bei unbegrenztem Urlaub eben dazu – gerade beim Chef.
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